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Abschied vom freien Austausch

Zum bevorstehenden Ende der »Kostenloskultur« im Internet

Digitale Kompressionstechniken wie MP3 und Tauschbörsen wie Napster bewirkten, dass für einige Jahre im Internet ein Überfluss an Kulturgütern und an Informationen vorhanden war. Dies kam zwar den KonsumentInnen und vielen, insbesondere weniger bekannten KünstlerInnen zugute, schmälerte jedoch die Umsätze der großen Medienkonzerne. So ist es kein Wunder, dass sie versuchen, diese »Kostenloskultur« im Internet mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu zerstören. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies gelingen wird, ist sehr groß, meint Benedikt Rubbel. Denn trotz der absehbaren beunruhigenden Folgen können die Konzerne mal wieder mit der Unterstützung staatlicher Stellen rechnen.

Mit der Einführung der Audio CD im Jahr 1981 war ein erster Schritt hin zur Digitalisierung von Medieninhalten getan, denn die Klanginformationen lagen jetzt in digitaler Form vor, also einer Aneinanderreihung von 0 und 1.1 Dies bedeutet auch, dass diese Informationen ohne Qualitätsverlust kopiert und auf ganz unterschiedlichen Medien gespeichert werden können. Sie sind im Gegensatz zur LP oder zur Videokassette nicht mehr an ein spezifisches Trägermedium gebunden.

Diese Kopiermöglichkeiten standen aufgrund von Fortschritten in der Computertechnologie seit Mitte der 1990er Jahre in zunehmendem Maße auch Privatpersonen zur Verfügung, denn seit dieser Zeit sind CD-Brenner im Handel erhältlich. Technologische Fortschritte haben also den Prozess des Kopierens von Informationen so sehr vereinfacht, dass er genauso gut am heimischen PC wie in der Fabrik vonstatten gehen kann.2 Die Unterhaltungsindustrie behauptet, dass ihr durch diese Privatkopien beträchtliche Umsatzverluste entstehen.

Als ein noch größerer Alptraum für die Musikindustrie erwies sich die Möglichkeit der Datenkompression für Audiodateien. Das am weitesten verbreitete Kompressionsformat für Musik heißt MP3 und wurde an der Universität Erlangen entwickelt. Seit 1996 war es mittels spezifischer Kompressions-/Dekompressionsprogramme auch für PC-Nutzer möglich, Audiodateien ohne hörbaren Qualitätsverlust auf ein Zehntel ihrer ursprünglichen Größe zu komprimieren. Ein Song von 5 Minuten Dauer beansprucht demnach als MP3-Datei nur noch 3,66 MB.

Es ist nun möglich, die eigene Musiksammlung komprimiert auf der Festplatte zu speichern. Play List Editoren sind Bestandteil vieler MP3-Softwareplayer, z.B. von Winamp. Sie erlauben es, die eigene MP3 Sammlung nach beliebigen Kriterien zusammenzustellen. Man kann beispielsweise eine unterschiedliche Playlist für jedes Musikgenre oder einen bestimmten Interpreten anlegen oder eine andere, die Songs in zufälliger Reihenfolge abspielt.

Napster & Co

Die relativ geringe Größe von MP3 Dateien macht es zudem möglich, diese über das Internet zu verschicken. Dies geschah auch in zunehmendem Maße seit 1996. Doch erst als Napster im Jahr 1999 die bis dahin zeit- und nervenaufreibende MP3-Tauscherei vereinfachte, wurde der Musiktausch über das Internet ein Massenphänomen. Napster automatisierte den Tauschvorgang und sorgte dafür, dass auch Menschen mit geringeren Technik- und Szenekenntnissen am Musiktausch via Internet teilnehmen konnten. Der Tausch nahm innerhalb kurzer Zeit Dimensionen an, die vorher völlig undenkbar gewesen sind. Zahlen von Oktober 1999 besagen, dass bereits damals 43.000 User über Napster zugleich online waren,3 mehr als zehn mal soviel wie in der IRC-Szene4 ein Jahr zuvor. Im Februar 2001 waren es bereits 1,5 Millionen und Napster wurde in diesem Monat nach einer Untersuchung von Jupiter Media Metrix von ca. 26,1 Mio. Menschen weltweit genutzt.5 In dieser Zeit war praktisch die gesamte von der Menschheit aufgenommene Musik verfügbar. Die Musikindustrie versuchte schon seit Dezember 1999 Napster zu stoppen, befürchtete sie doch, durch diesen Service überflüssig zu werden.

In einem weltweit beachteten Prozess erklärte Richterin Marilyn Hall Patel vom Federal District Court in San Francisco im Jahr 2000, dass Napster mit seinem Service Beihilfe zur Copyrightverletzung leiste und dass die Firma verpflichtet sei, alle Dateien aus seinem zentralen Suchindex6 zu entfernen, deren Copyright den Musikkonzernen gehört. Seit März 2001 setzt Napster deshalb entsprechende Filter ein, was bewirkte, dass die Anzahl der User immer mehr zurückging. Da sich aber eine von Richterin Patel gewünschte 100%ige Filterung der Dateien nicht verwirklichen ließ, schaltete Napster seinen zentralen Server am 3. Juli 2001 endgültig ab und die Firma meldete ein Jahr später Konkurs an.7

Obwohl die Musikindustrie im Fall Napster einen bedeutenden Sieg erringen konnte, gelang es ihr nicht, das Filesharing zu unterbinden. Denn an die Stelle von Napster sind neue Dienste getreten, die dezentraler organisiert sind. Dies sind beispielsweise Bearshare, Kazaa, WinMX und eDonkey 2000, die gegenwärtig zusammen von weitaus mehr Menschen genutzt werden, als Napster im Februar 2001, ungefähr von 40 Millionen im Dezember 2002.8 Über diese Dienste lassen sich zudem nicht nur MP3s tauschen, sondern auch alle anderen Arten von Dateien. Im Gegensatz zu Napster existiert bei diesen kein zentraler Indexserver mehr, der aufgrund eines Gerichtsbeschlusses abgeschaltet werden könnte, statt dessen werden auch die Suchanfragen zwischen den angeschlossenen Usern ausgetauscht. Dennoch hat die amerikanische RIAA den Dienst Kazaa bereits verklagt und Prozessbeobachter rechnen damit, dass Kazaa aufgrund des Präzedenzfalls von Napster vor Gericht unterliegen wird. Es bleibt allerdings die Frage offen, ob Sherman Ltd., die Firma, die Kazaa gegenwärtig betreibt, überhaupt in der Lage ist, den Tausch über Kazaa zu unterbinden.

Überwachen und Strafen

Die Entwicklung der P2P-Netzwerke führte dazu, dass nun ein Überfluss an Musik und sonstigen Kulturgütern wie Filme und E-Books im Internet vorhanden ist.

Die Unterhaltungsindustrie glaubt selbst, dass P2P-Netzwerke in Zukunft den Kern der Distribution von Inhalten bilden können, sollten sie nicht gestoppt werden. In diesem Fall befürchtet sie, ihre Produkte z.B. Musik oder Filme, in Zukunft nicht mehr verkaufen zu können, wenn sie zugleich auch kostenlos im Internet erhältlich sind. Insofern sieht sie ihre Existenz bedroht. Dies wird scheinbar durch die Verkaufsstatistiken bestätigt: Allein in den Jahren von 1998 bis 2002 ging in der Bundesrepublik der Tonträgerabsatz von 276,4 auf 227,1 Millionen Exemplare zurück, also ca. um 18%.9 Deshalb versucht die Unterhaltungsindustrie gegenwärtig, diese »Kostenloskultur« mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu zerstören.

Die erste wichtige Strategie waren Klagen gegen die Filesharingdienste wie Napster. Letztendlich zeigte es sich, dass es der Musikindustrie zwar möglich war einzelne Firmen in den Ruin zu treiben, aber dafür entstanden neue, die schwerer zu lokalisieren und zu zerstören sind. Außerdem dauern diese Prozesse aus der Sicht der Musikindustrie immer noch zu lange, denn es entstehen viel schneller neue Dienste, als dass sie die alten zerstören kann.

Ein effektiveres Mittel, den Tausch von Inhalten über das Internet zu unterbinden, wären Klagen gegen einzelne User, die Dateien zum Tausch bereitstellen. Die Unterhaltungsindustrie zögerte bisher jedoch, User von P2P-Programmen anzuklagen und sie zu Gefängnisstrafen verurteilen zu lassen, vermutlich, weil dies ihrem Image schaden könnte. Viele Anzeichen deuten jedoch darauf hin, dass sich dies in Jahr 2003 ändern wird, und insofern spricht vieles dafür, dass der Tausch über Computernetze in Zukunft stark zurückgehen wird.

Damit ist jedoch das »Problem« des Überflusses noch lange nicht gelöst. Denn es können MP3-Dateien immer noch über andere Wege ausgetauscht werden, etwa bei LAN-Partys. Zudem bleibt auch Privatpersonen die Möglichkeit CDs oder DVD zu kopieren. Alle Anstrengungen, hier einen wirksamen Kopierschutz zu entwickeln, blieben weitgehend erfolglos. Je stärker das Filesharing und die Privatkopien unterbunden werden, desto stärker wird sich vermutlich auch die gewerbsmäßige Medienpiraterie entwickeln und ein Musikschwarzmarkt könnte auch in den Industrieländern entstehen. Die IFPI hielt bereits im Jahr 2002 mehr als 40% der weltweit verkauften Musik CDs für gefälscht.10

Dies ist natürlich auch der Unterhaltungsindustrie bewusst. Erfahrungen der Softwareindustrie in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit Kopierschutzmechanismen zeigen, dass digitale Kopien in einer Welt voller Personal Computer nicht verhindert, sondern nur erschwert werden können. Aus diesem Grund möchte die Unterhaltungsindustrie den PC in seiner jetzigen Form als Allzweckmaschine beseitigen und die gegenwärtige Hardwarelandschaft vollständig umgestalten. Nur so glaubt sie, das »Problem« der digitalen Privatkopien endgültig lösen zu können. Hierfür hat sie Unterstützung bei der Computerindustrie gefunden. Denn Firmen wie Intel und Microsoft haben weder ein Interesse an einer Konfrontation mit der mächtigen Unterhaltungsindustrie noch wünschen sie eine Aufweichung des geistigen Eigentums im Bereich des Copyright und der Patente. Dies – so ihre Befürchtung – könne geschehen, wenn P2P-Netzwerke toleriert würden. Deshalb einigten sich die Firmen der Unterhaltungs- und der Computerindustrie spätestens im Sommer 2001 darauf, dass das geistige Eigentum in der digitalen Umgebung wirksam geschützt werden soll.11 Dies soll primär dadurch geschehen, dass die Hardwareindustrie technische Schutzmaßnahmen entwickelt, zusätzlich soll die Gesetzgebung der Staaten eine gewisse Rolle spielen.

Jedoch besteht zwischen den Industriefraktionen Uneinigkeit über die praktische Umsetzung dieses Beschlusses. Die Unterhaltungsindustrie, insbesondere die amerikanische MPAA,12 setzt nach wie vor stark auf staatliche Gesetze, die den Einbau von Kopierschutzmechanismen in alle digitalen Geräte vorschreiben. Dies ist der Inhalt eines Gesetzentwurfs namens CBDTPA13, den Fritz Hollings, Senator aus South Carolina, am 21. April 2002 in den Senat einbrachte. Ob dieser Gesetzentwurf verabschiedet wird, ist derzeit ungewiss, denn VertreterInnen der Computerindustrie haben sich vehement dagegen ausgesprochen. Das bedeutet nicht, dass sie die Ziele des Gesetzes nicht teilen würden. Die Computerindustrie möchte allerdings die entsprechenden Kopierschutztechniken selbst entwickeln und wehrt sich dagegen, dass amerikanische Behörden festlegen, welche Techniken sie einzusetzen hat.

TCPA und das TORA-BORA Prinzip

Der Entwicklung dieser Kopierschutztechniken dient vor allem der Trusted Computing Platform Allince, kurz TCPA. Ihr gehören die wichtigsten Firmen der Computerindustrie wie Intel, AMD, Microsoft und IBM an. Nach den Vorstellungen der Initiative sollen alle Mainboards einen Überwachungschip enthalten, der speziell gegen Manipulation gesichert ist. Dieser Chip, genannt TPM (Trusted Platform Module), soll zu einem späteren Zeitpunkt direkt in den Hauptprozessor integriert werden. Dieser Überwachungschip überprüft beim Booten des PC zunächst, ob das System aus »sicheren« Hardwarekomponenten aufgebaut ist. Ist dies der Fall, übergibt er dem Betriebssystem die Kontrolle über den PC, dessen Integrität ebenfalls ständig überwacht wird. Das TPM ist ebenfalls in der Lage, die Integrität von Hardware und Betriebssystem an andere Stellen zu zertifizieren.14

Die Mitglieder der TCPA betonen stets, dass ihre Initiative nichts mit Kopierschutz zu tun habe, sondern nur dazu dienen solle, Computer in Unternehmensnetzen sicherer zu machen, um etwa Industriespionage zu verhindern. Diese Beteuerungen erscheinen aber allein schon deshalb nicht glaubwürdig, weil Intel plant, das TPM in alle zukünftigen Mainboards und Prozessoren einzubauen, also auch in solche, die an Privatpersonen verkauft werden sollen. Wenn dieser Überwachungschip erst einmal weit genug verbreitet ist, kann niemand Firmen der Unterhaltungsindustrie daran hindern, ihre digitalen Inhalte wie z.B. Filme und Musik nur noch an BesitzerInnen »sicherer« Geräte zu verkaufen.

Ein Videoabend am heimischen Bildschirm könnte also in einigen Jahren folgendermaßen aussehen: Erika Musterfrau möchte sich den Film Schneewittchen (USA 1937) von Disney ansehen. Sie sucht diesen Film auf den Disneyservern und lädt ihn auf eigene Kosten mit ihrem DSL-Modem herunter. Dies dauert ungefähr zwei Stunden, wenn der Server von Disney nicht überlastet ist. Anschließend studiert sie die Lizenzformationen dieses Films. Diese besagen, dass der Film einmal betrachtet werden darf und dass dies fünf Euro kostet. Das Kopieren des Films, auch auszugsweise, ist nicht gestattet. Um diese Regelungen durchzusetzen, ist der Film vom Disney-Server so verschlüsselt worden, dass nur ihr TPM-Chip ihn entschlüsseln kann. Sie bezahlt den geforderten Betrag online mit einem – hoffentlich ebenfalls sicheren – Online-Überweisungssystem. Gleichzeitig bestätigt ihr Überwachungschip den Servern, dass ihre Hard- und Software »sicher« ist, d.h. sie nicht die Möglichkeit hat, den Film zu kopieren. Nun teilen die Server ihrem Rechner einen Schlüssel mit, der es dem TPM-Chip erlaubt, den Film zu entschlüsseln. Dies geschieht natürlich nur scheibchenweise, d.h. ein Teil des Films wird entschlüsselt und direkt am Monitor oder dem Fernseher ausgegeben, aber niemals unverschlüsselt gespeichert.

Viele BeobachterInnen schließen aus den bisherigen vergeblichen Bemühungen der Unterhaltungsindustrie Kopierschutzmechanismen zu entwickeln, dass ihr dies auch in Zukunft nicht gelingen werde. Denn bisher ist noch jeder Kopierschutz geknackt worden, selbst wenn er noch so kompliziert war. Dies lag aber daran, dass Inhalte nur auf der Softwareebene geschützt wurden und jedes Produkt mit demselben Schlüssel verschlüsselt wurde. So funktioniert, z.B. die Verschlüsselung von DVDs, immer nach den gleichen Prinzipien. Sind diese bekannt, können alle DVDs problemlos dekodiert werden.15 Dagegen ist es der Unterhaltungsindustrie kaum möglich, einen neuen, sicheren Kopierschutz in bereits existierende Medien zu implementieren, weil dadurch alle bisher gekauften Geräte unbrauchbar würden.

Genau diese Möglichkeiten existieren bei TCPA nicht mehr. Die entsprechende Eigenschaft dieses Chips wird von Microsoft-ExpertInnen martialisch als TORA-BORA-Prinzip bezeichnet. Das bedeutet, dass die Trusted Operating Root Architecture den Break Once Run Anywhere-Ansatz unmöglich machen wird. Eine sichere Bootarchitektur soll das bisherige Prinzip der Cracker, und zwar »Einmal Brechen – immer Verwenden« wirkungsvoll unterbinden. Stattdessen werden Inhalte individuell für jede/n KonsumentIn einzeln verschlüsselt und eine Entschlüsselung ist nur mit einem bestimmten Chip möglich, der speziell gegen Manipulationen gesichert ist. Wahrscheinlich wird es ExpertInnen mit einer teuren Ausrüstung noch möglich sein, erste Versionen dieses Überwachungschip zu knacken und damit etwa Filminhalte zu dekodieren. Aber für DurchschnittsnutzerInnen ist dies völlig unmöglich. Selbst wenn es ihnen gelingen würde, wäre nur ein Gerät »kompromittiert«, der Kopierschutz an sich bliebe aber intakt. Insofern gehen alle bedeutenden SicherheitsexpertInnen, wie z.B. Bruce Anderson, davon aus, dass es mittels TCPA und TORA-BORA gelingt, Privatkopien und Piraterie von digitalen Inhalten wirkungsvoll zu vereiteln.

Geradewegs in den Totalitarismus?

Man sollte auch nicht denken, dass es in Zukunft immer noch möglich sein wird, Kopien von CDs und DVDs herzustellen oder Fernsehsendungen aufzuzeichnen. Denn die Unterhaltungsindustrie arbeitet bereits an neuen Standards für Geräte der Consumerelectronik, die dies unmöglich machen. Sie sehen auch vor, dass sich zukünftige Generationen von CD und DVD-Playern sowie Fernseher per Internet mit den Servern der Unterhaltungsindustrie verbinden und ihre »Sicherheit« zertifizieren, bevor gekaufte Inhalte abgespielt werden können. Um diese neuen Standards durchzusetzen, haben staatliche Gesetze wie der CBDTPA eine wichtige Funktion. Denn die VerbraucherInnen werden sich kaum neue Geräte kaufen, die weniger Möglichkeiten haben als die bestehenden. Um einen solchen Wechsel durchzusetzen, könnte der Staat die Produktion von Geräten mit Kopiermöglichkeit einfach verbieten.

Die Folgen einer solchen Entwicklung sind jedoch extrem beunruhigend. Das Sicherheitsmodell der oben beschriebenen Mechanismen des Digital Rights Management geht davon aus, dass die Computer bzw. Geräte der Consumerelectronic der einzelnen User ständig durch Server der Unterhaltungsindustrie überwacht werden müssen. Nur damit kann garantiert werden, dass ihre Inhalte in einer »sicheren« Umgebung abgespielt werden. Hierdurch haben diese Firmen auch direkt Zugriff auf diese Rechner und können Inhalte löschen bzw. deren Dekodierung verweigern, wenn sie zu dem Schluss kommen sollten, dass der heimische Rechner »unsicher« ist. Dieses System kann auch zur Zensur genutzt werden. So könnte beispielsweise die Polizei oder ein Gericht bestimmte Dokumente als illegal einstufen. Wenn sie in einem »sicheren« Format gespeichert sind, könnten diese Institutionen Firmen der Unterhaltungsindustrie anweisen, per Fernzugriff die Besitzer dieser Dokumente ausfindig zu machen oder diese zu löschen.16 Lizenzen werden aus Sicherheitsgründen nur noch auf zentralen Lizenzservern gespeichert werden. Das erlaubt der Unterhaltungsindustrie, genaue Konsumprofile ihrer KundInnen anzulegen und ermöglicht damit eine auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Werbung und den Verkauf dieser wertvollen Kundendaten. Auch der Staat könnte bei Rasterfahndungen Zugriff auf diese Datenbanken nehmen, und es könnte dadurch ein immer stärker werdender Druck entstehen keine Inhalte zu konsumieren, die dem aktuellen gesellschaftlichen Konsens widersprechen.

 

Digital Rights Management erlaubt der Unterhaltungsindustrie eine bisher ungekannte Kontrolle über Nutzungsformen und Nutzungsintensität von Inhalten. Sie möchte diese Möglichkeit nutzen, um das Abrechnungsmodell des Pay-Per-Listen/View durchzusetzen, wo für jeden Konsumptionsvorgang einzeln gezahlt werden muss. Hierfür existieren viele Belege. Bertelsmann-Manager Thomas M. Stein sagte auf der Musikmesse PopKomm 2000, in Zukunft würden sich gekaufte Musikstücke nur noch wenige Male abspielen lassen und sich dann "wie Botschaften in Mission Impossible selbst zerstören."17 Auch Tim Renner, Geschäftsführer von Universal Music Deutschland, sagte, die Kunden würden sich in Zukunft daran gewöhnen müssen, Musik nicht mehr permanent zu besitzen.18

Mit diesem Modell möchten die Unterhaltungskonzerne ihre Gewinne extrem steigern. Es bleibt jedoch die Frage, wie realistisch solche Hoffnungen sind. Da die KonsumentInnen nur ein begrenztes Budget für den Medienkonsum haben und die Netto-Reallöhne in den vergangenen Jahren stagnierten,19 dürfte eine Verwirklichung dieser Pläne eher zu einer künstlichen Verknappung des Konsums von Kulturgütern führen, ohne dass die Gewinne der Unterhaltungsindustrie viel höher wären als heute. Dies ist umso paradoxer, weil die technische Entwicklung es ganz im Gegenteil ermöglicht, allen Menschen Informationen und Kulturgüter im Überfluss zur Verfügung zu stellen. Dies zeigt die Entwicklung von Napster und anderen P2P-Netzwerken eindeutig.

Alternativen

Wenn Kulturgüter kostenlos über das Internet verteilt werden, stellt sich die Frage, wie ihre Erschaffung finanziert wird. Wie oben dargelegt, führt eine Individualabrechnung des Verbrauchs im digitalen Zeitalter geradewegs in den Totalitarismus und ist aus diesem Grund abzulehnen. Als Alternative hierzu wurde häufig eine Pauschalabgabe von einigen Prozent entweder auf den Verkauf von Hardware oder auf Internetzugänge vorgeschlagen. Dafür sollen User das Recht bekommen, digitale Inhalte über das Internet legal tauschen zu dürfen. Die Einnahmen sollen dann je nach Downloadhäufigkeit an die einzelnen KünstlerInnen selbst ausgeschüttet werden. Eine ähnliche Abgabe existiert in der Bundesrepublik bereits in Form der GEMA-Gebühr auf Geräte mit technischer Kopiermöglichkeit. Sie müsste nur qualitativ deutlich ausgeweitet werden.

Eine Verwirklichung dieser Vorschläge würden vermutlich bewirken, dass das Musikangebot vielfältiger werden würde, als es heute ist. Schon heute ist in den P2P-Netzwerken die Musik aus allen Weltregionen verfügbar, nicht nur aus Europa und Nordamerika. Man findet in ihnen nicht nur die aktuellen Top 50-Hits, sondern auch Musik von vergessenen, obskuren und wenig bekannten MusikerInnen. Diese breite Verfügbarkeit kombiniert mit einer Pauschalabgabe würde vermutlich bewirken, dass die Einkünfte der Superstars zurückgehen, aber insgesamt mehr KomponistInnen, TextdichterInnen und ausübende KünstlerInnen von ihrer Tätigkeit leben könnten. Die Bedeutung der Musikindustrie als Vermittlungsinstanz zwischen KünstlerInnen und Publikum würde zurückgehen, sie würde nicht mehr im heutigen Umfang benötigt, da die KonsumentInnen die Distribution der Musik zu einem großen Teil selbst übernehmen können. Dennoch ist eine Pauschalabgabe in der Bevölkerung vermutlich unpopulär, weil sie de facto als Steuer erscheint. Die weitaus höheren Kosten, die bei der Implementierung von TCPA entstehen, erscheinen dagegen als Preiserhöhung für Produkte und werden deshalb in der Gesellschaft eher akzeptiert.

Auch aus anderen Gründen ist es höchst unwahrscheinlich, dass sich Pauschalabgaben zur Finanzierung von Kulturleistungen durchsetzen können. Denn bereits im Jahr 1993 wurde bei Überlegungen zum Ausbau und zur Förderung der »Informationsgesellschaft« in den USA und der EU die Festlegung getroffen, dass eine Übertragung von Copyright geschützten Werken im Internet nur bei Zustimmung der RechteinhaberInnen zulässig ist. Zugleich wurde ein juristischer Schutz technischer Schutzmaßnahmen gefordert. Es sollte also verboten werden, diese Schutzmaßnahmen zu umgehen, und zwar selbst dann, wenn die technisch geschützten Inhalte nicht mehr dem Schutz durch das Copyright unterliegen.

Diese Vorschläge wurden zunächst in die beiden 1996 verabschiedeten Verträge zum Copyright in der Informationsgesellschaft, und zwar den WIPO Copyright Treaty (WCT) und den WIPO Performance & Phonograms Treaty (WPPT) aufgenommen und anschließend in nationales Recht umgesetzt. Dies geschah in den USA im Jahr 1998 mit dem berüchtigten Digital Millennium Copyright Act (DMCA) und in der EU mit der Copyrightdirektive von 2001. Diese wiederum ist inzwischen in den meisten europäischen Ländern in nationales Recht umgesetzt worden. Insofern ist es außerordentlich schwierig, diese einmal getroffene Entscheidung wieder rückgängig zu machen.20 Gerade im Jahr 1993 war überhaupt noch nicht klar, wie sich das Internet entwickeln würde und welche Möglichkeiten dieses neue Medium bietet. Da es zu diesem Zeitpunkt nur sehr wenige NutzerInnen dieser Technik gab und demnach auch noch keine organisierten NutzerInnengruppen, widersprach niemand den Vorstellungen der Unterhaltungsindustrie, die sie mittels intensivem Lobbying durchsetzte. Erschwerend wirkte sich noch die Tatsache aus, dass über die entsprechenden Verhandlungen in der Öffentlichkeit so gut wie überhaupt nicht berichtet wurde. Die einmal getroffene Festlegung nutzt also einseitig den Großkonzernen der Unterhaltungsindustrie, während sie die Entwicklung neuer Distributionsformen erschwert. Die vom amerikanischen Ökonomen Jeremy Rifkin genannte Gefahr, dass diese Konzerne in naher Zukunft alle kulturellen Ausdrucksformen der Menschheit kontrollieren werden, ist also tatsächlich sehr groß.21 Ein Erfolg von Alternativmodellen wäre allenfalls dann denkbar, wenn sich eine starke soziale Bewegung hierfür einsetzten würde.

 

Anmerkungen

1) Der Beitrag basiert auf meiner Diplomarbeit zum Thema "Musik im Internet als Beispiel für einen Konflikt um das geistige Eigentum in der Informationsgesellschaft." Kontakt: b.rubbel@t-online.de

2) Vgl. Ernst Lohoff: Die Ware im Zeitalter ihrer arbeitslosen Reproduzierbarkeit, im WWW: http://www.giga.or.at/others/krisis/e-lohoff_politische-oekonomie-information.html , Stand 26.02.2002

3) Vgl. Jordan Ritter: Bild Jordan and Holly, im WWW: http://www.darkridge.com/~jpr5/pics/Napster/jordan_and_holly.jpg , Stand 31.05.2002

4) IRC = Internet Relay Chat – wurde von Mitgliedern der MP3-Szene vor Napster zur Kommunikation und zum Tausch von Dateien genutzt.

5) Jupiter Media Metrix: Global Napster Usage Plummets, But New File-Sharing Alternatives Gaining Ground, Reports Jupiter Media Metrix, Pressemitteilung, im WWW: http://www.jupiterresearch.com/xp/jmm/press/2001/pr_072001.htm l, Stand 06.02.2003

6) Bei Napster wurden die Dateien direkt zwischen Usern ausgetauscht, die Informationen darüber, welcher User welche Datei zum Tausch zur Verfügung stellt, dagegen auf einem zentralen Server gespeichert. Wird dieser abgeschaltet, funktioniert das System nicht mehr.

7) Vgl. Renate Grimming: Napster: Der Tod des »Revoluzzers«, Heise Online, 04.09.2002, im WWW: http://www.heise.de/newsticker/data/jk-04.09.02-002 , Stand 26.02.2003

8) Vgl. IPSOS-Reid (Hrsg.): File-Sharing And CD Burning Remain Steady In 2002: Ipsos, im WWW: http://www.ipsos-reid.com/media/dsp_displaypr_us.cfm?id_to_view=1743 , Stand 26.02.2003 und eigene Berechnungen.

9) Vgl. die Statistiken des Bundesverbands Phono, im WWW: http://www.ifpi.de/ , Stand 28.02.2003

10) Vgl. vza: Phonoverband hält 40 % aller verkauften Tonträger für gefälscht, Heise Online, 12.06.2002, im WWW: http://www.heise.de/newsticker/data/vza-12.06.02-000/ , Stand 26.02.2003

11) Im Rahmen des Global Business Dialogue on Electronic Commerce, vgl. GBDeC: Intellectual Property Rights – Technological Protection Measures, 14. September 2001, S.54, im WWW: http://www.gbde.org/ipr/01ipr.pdf , Stand 26.02.2003

12) MPAA = Motion Picture Association of America

13) CBDTPA = Consumer Broadband and Digital Television Promotion Act

14) Vgl. Ross Anderson: TCPA / Palladium FAQ, im WWW: http://www.cl.cam.ac.uk/~rja14/tcpa-faq.html , Stand 26.02.2003

15) Vgl. David McCandless: Warez World, Telepolis, 26.07.2001, im WWW: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9171/1.htm l, Stand 26.02.2003

16) Vgl. Ross Anderson: TCPA/Palladium FAQ, a. a. O.

17) Günter Hack: "Dieses Lied zerstört sich in fünf Minuten selbst", Telepolis, 21.01.2001, im WWW: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/musik/4734/1.html , Stand 26.02.2003

18) Vgl. Stefan Krempel: Das Wissen der Avantgarde und der Mainstream, Interview mit Tim Renner, Telepolis, 08.10.2001, im WWW: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/musik/9732/1.html , Stand 26.02.2003

19) Vgl. Joachim Bischoff: Mythen der New Economy, Hamburg 2001, S.89

20) Vgl. Philip Wittgenstein: Die Digitale Agenda der neuen WIPO-Verträge, Bern 2000, S.32ff

21) Vgl. Jeremy Rifkin: Access – Das Verschwinden des Eigentums, Frankfurt am Main/New York 2000, S.19

Benedikt Rubbel ist Diplomsoziologe und lebt in Marburg